Der SPD-Arbeitskreis Finanzen hat ein Positionspapier zur Haushalts- und Finanzpolitik erarbeitet. Es enthält unsere Kernaussagen zum Umgang mit der schwieriger gewordenen Haushaltslage aufgrund von Steuermindereinnahmen und zur Haushaltspolitik der kommenden Jahre wieder.
- Die aktuelle Situation
Marburg hat dank einer soliden finanziellen Ausstattung in den letzten Jahren ein überdurchschnittliches Niveau in allen Politikfeldern erarbeitet. Die sozialdemokratische Haushaltspolitik hat in den letzten 20 Jahren dafür gesorgt, dass soziale Unterstützung, Gemeinwesenarbeit, Infrastruktur, Bildung und vieles andere mehr überdurchschnittlich gefördert und entwickelt wurden. In der Integrationspolitik, insbesondere der Aufnahme von Flüchtlingen hat Marburg Maßstäbe gesetzt, die als Beispiel für andere Kommunen gelten.
Wir erleben jetzt, dass angesichts der langfristig zu erwartenden Einnahmen die politisch, sozial und ökonomisch gestellten Erwartungen nicht mehr in vollem Umfang erfüllt werden können.
Deshalb ist eine Neubestimmung sozialdemokratischer Politik erforderlich, die die Grundwerte unserer Partei und die erkannten Notwendigkeiten kommunaler Politik einerseits und die finanzpolitischen Gegebenheiten andererseits in Einklang bringt.
Als Reaktion auf die veränderte finanzielle Situation wollen wir den 2. Nachtragshaushalt 2016 verabschieden. Trotz zusätzlicher Belastungen aus Vorjahren durch Nachmeldungen in Höhe von fast 15 Millionen Euro ist es gelungen, die geplanten Ausgaben für Investitionen in diesem Jahr um Millionen abzusenken. Damit ist durch unseren Oberbürgermeister und Kämmerer Dr. Thomas Spies ein Umsteuern eingeleitet, das verstetigt werden muss. Es wird Aufgabe der kommenden Jahre sein, eine weitere Konsolidierung des Haushalts durchzuführen, um eine deutliche Entschuldung der Stadt Marburg zu gewährleisten.
- Handlungsspielräume erhalten
Ziel sozialdemokratischer Politik muss es sein, ein Hineinregieren der Aufsichtsbehörden (Regierungspräsidium) zu vermeiden. Dies erfolgt immer dann, wenn Haushalte nicht ausgeglichen sind. Kommunale Selbstbestimmung erweist sich daran, ob kommunale Willensbildung ihren Niederschlag im Haushalt findet.
Die Marburger SPD will die Gestaltungshoheit behalten. Zugleich wollen wir nicht, dass Zins- und Tilgungslasten für Schulden unsere Handlungsfähigkeit beschränken.
Die Finanzierung von Investitionen ausschließlich „auf Pump“ lehnen wir ab, weil dies über Zins und Tilgung über die laufenden Einnahmen erwirtschaftet werden muss. Die bestehenden Schulden müssen mittelfristig deutlich reduziert werden.
Unser Ziel ist die Gestaltung von ausgeglichenen Haushalten, in denen die Erträge auf der Einnahmenseite und die Aufwendungen auf der Ausgabenseite mindestens übereinstimmen. Hierfür ist eine deutliche Aufgaben- und Ausgabenkritik in allen Politikfeldern nötig. Die vorliegenden Standards müssen auf das notwendige Maß zurückgeschraubt werden. Dazu gehört auch, die Personalkostenentwicklung kritisch zu betrachten. Eine Stellenbesetzungssperre für die Dauer von vier Monaten muss bis zur Erreichung des Ziels der ausgeglichenen Haushalte angewendet werden.
- Gerechtigkeit neu bestimmen
Die Stadt Marburg stellt viele Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung und unterstützt sie durch kommunale Mittel in nicht unbeträchtlicher Höhe. Kostensteigerungen und Qualitätsverbesserungen hat die Stadt finanziert. Wir müssen in Zukunft stärker darauf achten, dass Nutznießer/-innen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stärker in die Pflicht genommen werden.
Deshalb werden wir dafür Sorge tragen, dass der Anteil der Eigenfinanzierung auf ein angemessenes Maß angehoben wird. Gebühren, Eintrittsgelder usw. sind so zu gestalten, dass einkommensschwache Mitglieder der Stadtgesellschaft nicht ausgeschlossen werden und zugleich stärkere Glieder einen höheren Anteil beitragen.
Wir glauben, dass dies zumutbar und gerecht ist, weil wir vom Gemeinsinn und der Solidarität aller in Marburg überzeugt sind.
- Attraktivität des Standorts erhalten
Marburg profitiert davon, dass am Pharmastandort weiterhin Investitionen vollzogen werden, die sowohl attraktive Arbeitsplätze schaffen als auch das Gewerbesteueraufkommen dauerhaft sichern. Schon heute hat Marburg ein Gewerbesteueraufkommen, das in Relation zu anderen Städten deutlich höher ist. Wir setzen darauf, dass Unternehmen auch weiterhin in Marburg investieren. Die weitere Erhöhung der Gewerbesteuer zur Lösung aktueller Haushaltsprobleme lehnen wir deshalb ab. Wir wollen Verlässlichkeit für Investitionsentscheidungen für Marburg.
- Diskriminierung vorbeugen – Vielfalt stärken
Marburg ist eine Stadt der Vielfalt. Wir wollen nicht, dass Menschen auf Grund von sozialer, ökonomischer, kultureller oder religiöser Herkunft ausgegrenzt werden. Deshalb werden wir auch angesichts der finanzpolitischen Herausforderungen alles daransetzen, dass niemand aus der Stadtgesellschaft mit ihren vielfältigen Entfaltungsmöglichkeiten ausgegrenzt wird.
- Prioritäten setzen – und gemeinsam entwickeln
Die Beschränkung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit darf nicht dazu führen, mit dem Rasenmäher-Prinzip die notwendigen Einsparungen zu erreichen. Bei den notwendigen Einsparungen werden wir darauf achten, dass keine Positionen gekürzt werden, die aus kommunaler Verantwortung und sozialdemokratischer Verpflichtung zur Förderung einer solidarischen Stadtgesellschaft geeignet erscheinen. Dafür setzen wir auf die Mitarbeit aller, die sich der solidarischen Weiterentwicklung verpflichtet fühlen.
- Realismus in den Koalitionsbildungen
Wir erwarten von allen, die sich an einer künftigen Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung beteiligen wollen, dass sie sich den aktuellen Herausforderungen stellen und gewillt sind, an guten Lösungen mitzuarbeiten, die die soziale, ökonomische und kulturelle Basis der Universitätsstadt Marburg weder gefährden noch in Anspruchsdenken überfordern. Wir sind überzeugt, dass nach der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen wieder zusätzliche Handlungsspielräume entstehen, die die Universitätsstadt Marburg in die Lage versetzen, Vorreiter und Beispielgeber kommunaler Gestaltungsmöglichkeiten zu sein.
Beschlossen auf der Sitzung des Arbeitskreises am 23.08.2016