Marburg 2013

Persönlich-politische Notizen

Vorwenigen Tagen hatte ich ein Gespräch mit der neuen Aufsicht in einem Museum er Universität. Es wurde schnell klar, dass der Mann, etwa Mitte 40, wohl nur begrenzte Zeit helfen wird und daher auch die Öffnungszeiten erst einmal nicht erweitert werden. Der Mann ist nämlich ein sogenannter Rückkehrer aus dem UKGM in den Landesdienst. Das Land weiß offensichtlich noch immer nicht, wohin mit den Menschen, die es seinerzeit verfassungswidrig an den Rhön-Konzern mitverkauft hat. Irgendwo tauchen sie immer mal auf. Doch Perspektive: Fehlanzeige.

Im Stadtparlament gab es im April eine Debatte um die Partikeltherapie. Das Gezerre um den Erhalt der Anlage ist ein Sinnbild für die gescheiterte Privatisierung des UKGM. Die Landesregierung hat offenbar keine Anstalten gemacht, selbst initiativ zu werden, um diese innovative Therapieform in Marburg zu halten. In der Debatte im Stadtparlament wurde mir von der Opposition vorgeworfen, genau diesen Zusammenhang zur Sprache gebracht zu haben. Man müsse doch zusammenstehen. Ob die SPD den unsinnigen Passus über die Landesregierung nicht aus dem Antrag herausstreichen könne. Das sei doch Wahlkampfgetöse.

Konnten wir nicht. Wir meinen: Verantwortlichkeiten müssen benannt werden. Umgekehrt würden es die anderen mit der SPD genauso halten.

So wie die Marburger Linke der SPD bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Agenda 2010 und die Steuerreformen aus der Zeit von Gerhard Schröder vorhält. Ohne die Agenda ginge es allen gut. Was in der Zwischenzeit passiert ist, spielt keine Rolle. Die SPD hat aus alten Fehlern gelernt und sich im Bund wie im Land neu aufgestellt. Das wird von unseren Gegnern als nicht glaubwürdig abgetan. Warum? Um von eigener Perspektivlosigkeit abzulenken?

Für eine ehrliche Debatte, etwa um wichtige sozialpolitische Themen zählt offenbar nicht, dass sich sowohl der Bund (CDU, FDP) als auch das Land (CDU, FDP) seit Jahren um ihre Verantwortung drücken: Sei es bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus, sei es bei der angemessenen Mitfinanzierung der Kinderförderung, dem Ausstieg des Landes aus der sozialen Infrastruktur, der Kürzung der Regionalisierungsmittel für den ÖPNV, der Wegnahme von Geldern aus dem kommunalen Finanzausgleich. Als ob dies für Marburg keine Bedeutung hat, soll stattdessen die Stadt aus eigener Kraft alle Defizite ausgleichen, die andere verursacht haben. Populismus pur.

Mehr und mehr werden politische Debatten skandalisiert. In Marburg gebe es keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Der ÖPNV sei schlecht und zu teuer. Die Stadt werde willfährig an Investoren verkauft. Einsicht in Notwendigkeiten und Abwägung von Interessen wird als “Verrat” an früheren Aussagen gebrandmarkt. Die Meinung von Bürgern, Beiräten, Lobbygruppen werde ohnehin ignoriert. Marburg auf der schiefen Ebene in eine unheilvolle Zukunft?

Im Gegenteil. Über die Jahre hinweg wurden überdurchschnittlich gute Bedingungen erarbeitet, die Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt bedeuten. Wir haben ein engmaschiges Netz sozialer Unterstützung. Wir haben gute Sportstätten. Wir haben gut ausgestattete Schulen. Wir erweitern die Öffnungszeiten der Stadtbücherei. Wir setzen eigene Akzente in der Bildungspolitik. Wir bieten den Unternehmen gute Standortbedingungen. Wir investieren in den Erhalt von Straßen und Brücken. Wir fördern die Energiewende. Wir sorgen für Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben. Wir unterstützen Barrierefreiheit und Selbstbestimmung im Alter. In den Angeboten zur Kinderbetreuung sind wir hessenweit Spitze. Wir schaffen bezahlbaren Wohnraum. Wo andere Kommunen unter dem Schutzschirm freiwillige Leistungen zusammenstreichen müssen, haben wir die Autonomie über unseren städtischen Haushalt behalten. Selbstverständlich könnte vieles noch besser sein. Aber: Andere beneiden uns, denn sie sehen den Vergleich zur Realität in anderen Städten und Gemeinden.

Unlängst musste ich in der Ketzerbach etwas länger auf den Bus warten. An der Haltestelle zog eine Gruppe älterer Wanderer vorbei. Sie fotografierten die sanierten Häuserreihen. “Das ist mal eine Stadt, die anders ist als andere”, sagte einer der Wanderer anerkennend zu seinem Kollegen. “Da gibt es noch viel mehr Orte in Marburg, die sie sehen sollten”, hätte ich beinahe zugerufen. Doch ich bin mir sicher, dass die Besucher die besonderen Qualitäten unserer Stadt auch ohne fremde Hilfe entdecken.

Steffen Rink
Fraktionsvorsitzender