Für das Glück der Stadt und der MenschenRede zur Verabschiedung von Egon Vaupel im Stadtparlament

Lieber Egon,

sehr geehrter Oberbürgermeister der Universitätsstadt Marburg,
sehr geehrte Stadtverordnetenvorsteherin,
lieber Magistrat, liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Besucherinnen und Besucher,

wie viele Abschiede in diesen Tagen zu zählen sind – ich weiß es nicht. Heute ist es der Abschied aus der Stadtverordnetenversammlung, und der hat seine besondere Bedeutung. Die letzte Sitzung nach 18 Jahren als Bürgermeister und Oberbürgermeister.

Viele derjenigen, die ich jetzt von hier vorne vom Rednerpult sehe, verbindet mit Egon Vaupel eine lange Geschichte in dieser Konstellation. Fraktionen, Magistrat, Parlament. Doch selbst für mich, der ich hier erst seit dieser Wahlperiode, seit 2011 dazugehöre, kommt es so vor, als sei Egon schon immer dagewesen.

Das macht den heutigen Abschied doppelt schwer, und ich glaube wir werden auch erst in den nächsten Tagen und Wochen realisieren, was das für uns alle bedeutet. Doch zugleich: in jedem Abschied liegt ja auch ein neuer Anfang.

Wir haben mit Egon Vaupel einen Oberbürgermeister, einen Menschen erlebt, dem das demokratische Verfahren unserer Demokratie, hier in der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Marburg, immer wichtig war. Wir haben erlebt, dass die Arbeit als Oberbürgermeister und auch die Zusammenarbeit mit uns in den Fraktionen nie zur Routine geworden ist. Die Ausschüsse, die Stadtverordnetenversammlung waren nie lästige Notwendigkeiten, die man auch noch berücksichtigen und einbinden muss. Nie ging es darum, irgend eine Entscheidung einfach »durchzudrücken«. Vielmehr: Die Argumente hören, Anregungen aufnehmen, den eigenen Weg noch mal zur Diskussion stellen. Oft konnten wir erleben, dass Vorlagen des Magistrats noch einmal verändert, zurückgestellt und überarbeitet wurden. Oft kam der Satz: »Die Entscheidung trifft das Parlament«. Und der war ernst gemeint. Auch im Vertrauen, dass es die richtigen Entscheidungen sind.

Hier in der parlamentarischen Debatte an den Freitagabenden haben wir Egon Vaupel als engagierten und zugleich offenen Menschen erlebt. Egon Vaupel hatte Spaß an der Debatte, sie war ihm wichtig, er hatte Spaß an der Zuspitzung, am Sichtbarmachen der Alternativen. In den engagierten, manchmal auch hitzigen Debatten konnte es dann durchaus vorkommen,
dass er dem einen oder der anderen auch mal eins »mitgegeben« hat – und, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, sehen Sie es uns nach, dass es meistens Sie getroffen hat und wir uns darüber durchaus auch manchmal gefreut haben. Aber: wir in der SPD haben ja noch unsere Fraktionssitzungen, und die sind nicht nur einmal, sondern gleich zweimal im Monat..

Engagiert und offen – erkennbar, als Mensch und als politischer Mensch, und weil da ein Mensch diskutiert und gehandelt hat, immer auch angreifbar. Was wir in diesen Tagen nicht vergessen sollten ist, dass für manche in dieser Symbiose von Politik und Mensch die Grenzen fließend wurden, in der notwendigen Kritik und harten Debatte ins persönliche überwechselten und verletzt haben. Und mit Blick auf die SPD-Fraktion haben wir schon oft gedacht und sicherlich hin und wieder auch gehofft, dass da ein Oberbürgermeister ist, der in komplizierten Verhältnissen oder Situationen des Konflikts »das Ding schon klären wird« und der das alles schon irgendwie – wie eigentlich? – aushält und zu einem guten Ende führt.

Engagiert und offen. Es gibt solche Worte, die bleiben werden. Eines davon ist das vom »Wurzelwerk«. Oft hat Egon Vaupel von seinem sozialdemokratischen Wurzelwerk gesprochen, von den Dingen, die ihn geprägt haben. Das waren Werte, die in der Sozialdemokratie beheimatet sind. Selbstredend nicht ausschließlich, aber Egon Vaupel hat nun mal diese Biografie mit diesen Erfahrungen, die ihn, sein Denken, sein Fühlen und sein Handeln tief geprägt haben. Er hat Politik aus diesen Werten und Erfahrungen gemacht. Und wie er das dann 18 Jahre gelebt hat – da war Egon Vaupel ein Sozialdemokrat im besten Sinne des Wortes.

Engagiert und offen. Er stand für seine Werte ein. Er hat dafür gekämpft. Dabei ging es, gerade auch hier im Parlament, nie um politisches Theater, das man dem alle fünf Jahre wählenden Publikum vorspielt, und es ging auch nie um Sympathiewerte – wenngleich die Art und Weise, wie Egon Vaupel sein Amt ausgefüllt hat, ihm viele Sympathien eingebracht haben. Das freut und bestätigt, doch zuallererst ging es um die Sache. Nein: Die Sache stand an zweiter Stelle. An erster Stelle standen die Menschen. Das Glück der Stadt und der Menschen, das hat Egon Vaupel gesucht und dafür gearbeitet, gekämpft und gehandelt.

Man könnte vieles aufzählen und berichten, und das wird an vielen Stellen in diesen Tagen ja auch getan. Ich will hier nur drei Dinge benennen, die mit Egon Vaupel verbunden sind. Das Besondere ist, dass sie – von Meinungen im Detail oder zu einzelnen Fragen abgesehen – gerade auch hier im Parlament in großer Einmütigkeit vertreten wurden, was sicherlich ein ganz wesentlicher Grund für das besondere Lebensgefühl ist, das diese Universitätsstadt Marburg so auszeichnet.

Egon Vaupel stand klar und eindeutig gegen rechtes, menschenverachtendes Gedankengut. Für ihn wir für uns war klar: Das darf in dieser Stadt keinen Platz haben. Weil das alles zerstört, für das wir leben.

Egon Vaupel hat sich für Pluralität und Vielfalt eingesetzt und das Miteinander als Chance und Bereicherung begriffen. Jede und jeder, der hier in unserer Stadt lebt, ganz egal welcher sozialen, religiösen, ethnischen oder biografischen »Herkunft«, sollte teilhaben können am gesellschaftlichen Leben. Niemand soll ausgegrenzt, niemand darf diskriminiert werden.

Was das konkret bedeutet, erleben wir aktuell in der Herausforderung der Aufnahme von Flüchtlingen, ganz gleich ob in der Erstaufnahmeeinrichtung oder bei denen, die hier in der Stadt leben. Die Aufnahme der großen Zahl von Flüchtlingen ist die Nagelprobe, ob unser Reden von Werten, von Pluralität und Miteinander Bestand haben, ob sie ernst gemeint sind oder nicht. Ich sage: ohne die Klarheit, mit der Egon Vaupel hier vorangegangen ist, wo kein politisches Kalkül Pate gestanden hat, sondern die einfache, eindeutige persönliche und politische Überzeugung, was richtig ist und was zu tun ist – ohne dass Egon Vaupel vorangegangen ist, wären wir in der Willkommenskultur und Willkommensstruktur nicht so weit wie wir heute sind. Wir erleben, dass Konflikte, die anderswo die Aufnahme von Flüchtlingen begleiten, in Marburg Randerscheinungen sind. Hier arbeiten Verwaltung, Initiativen, Vereine, Menschen im Ehrenamt, im Beruf und in der Politik in einer gemeinsamen Haltung zusammen, die prägend ist für die gesamte Stadt, und zwar über die konkrete Aufgabe hinaus, denn hier spiegelt sich ein gemeinsames Verständnis von Solidarität in der Stadtgesellschaft.

Für mich kommt da noch ein wichtiges Wort ins Spiel: Vertrauen. Wir konnten darauf vertrauen, dass mit Egon Vaupel an der Spitze ein richtiger Weg beschritten wurde, und so haben wir – das kommt ja in einem Parlament eher selten vor – in einstimmiger Entscheidung »nachholende« Haushaltsbeschlüsse gefasst. Denn es musste und sollte gehandelt werden, ohne dass ein langwieriges parlamentarisches Verfahren die notwendigen Entscheidungen verhindert.

Die Haltung, die sich in diesen drei Feldern des politischen Handelns ausdrückt, hat uns nachhaltig geprägt. Sie wird, darauf hoffe ich und da bin ich mir eigentlich sicher, ihre sichtbaren Spuren über den heutigen Tag hinaus hinterlassen und unser eigenes Handeln bestimmen.

Lieber Egon, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, für die gemeinsamen Jahre hier in der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Marburg ein herzliches Dankeschön, dass wir sie für das Glück der Stadt Marburg und ihrer Bürgerinnen und Bürger gestalten konnten.

Marburg, 19. November 2015

Steffen Rink,
Vorsitzender der SPD-Fraktion
in der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Marburg